Der früheste Beleg zur Poststation Lieser

Ein neu entdeckter Beleg zum Verlauf des Niederländischen Postkurses

von Brüssel nach Innsbruck und Italien aus dem Jahre 1522

 

 

Gudrun Meyer

 

Historische Voraussetzungen

Im Jahre 1490 ließ der deutsch-römische König Maximilian I. erste länderübergreifende

Postkurse durch die Brüder Janetto und Franz von Taxis, sowie deren Neffen Johann Baptista

von Taxis einrichten. Neu gegenüber dem bestehenden Botensystem war die Arbeitsteilung.

Auf Poststationen fand ein Reiter- und Pferdewechsel statt, und nur das verschlossene Postfelleisen

(der Vorläufer des Postsacks) wurde wie bei einer Staffel weitergereicht. Da die Post bei Tag und

Nacht ritt, beschleunigte sich die Transportzeit von Briefen erheblich. Zur Kontrolle dienten

Stundenpässe, auf denen die Ankunft der Postreiter auf der Nachbarstation vermerkt wurde.

Neben dem Transport von verschlossenen Postfelleisen erfüllten die Poststationen einen weiteren

Zweck. Kuriere oder berechtigte Reisende konnten auf den Poststationen Pferde mieten und in

Begleitung eines Postreiters von Poststation zu Poststation reiten und dort das Pferd wechseln, was

man aus Sicht der Reisenden als „Postieren“ bezeichnete.

 

Streckenverlauf bis 1505

Aus der frühen Postgeschichte ist bekannt, dass es noch keine festen Poststationen gab und die

Postkurse nach Bedarf verlegt werden konnten. Nach Belegen aus den Jahren 1494 bis 1499 verlief

der Niederländische Postkurs von den Niederlanden aus über Jülich und Köln, danach am Rhein

entlang über Koblenz und Bingen, bevor er bei Speyer auf die andere Rheinseite nach Rheinhausen

wechselte und von dort aus über Württemberg, an Ulm und Füssen vorbei über den Fernpass

nach Innsbruck führte.

 

Postkurse nach den Postverträgen von 1505 und 1516

Nach dem Tod Isabellas von Kastilien im November 1504 wurde Maximilians Sohn Philipp der Schöne,

der auch Herzog von Burgund war, stellvertretend für seine Gemahlin Johanna Kastilischer König.

Daraufhin schloss er am 18. Januar 1505 mit Franz von Taxis, dem Niederländischen Generalpostmeister,

einen Postvertrag mit Zeitvorgaben  für verschiedene Postkurse ab. So durfte die Transportzeit für

Eilsendungen von Brüssel oder Mecheln nach Innsbruck im Sommer nicht mehr 5,5 Tage und im Winter

nicht mehr als 6,5 Tage betragen.

Der Postkurs ist durch einen Stundenpass aus dem März 1506 bekannt. Die Route verlief von Mecheln

aus über Rillaar, Büllesheim bei Euskirchen, Bad Breisich, die Moselfähre bei Hatzenport, Rheinböllen,

Flonheim, Heppenheim bei Worms, an Speyer vorbei nach Rheinhausen und von dort aus wieder über

Württemberg und an Füssen vorbei über den Fernpass nach Innsbruck.

Im Postvertrag vom 12. November 1516 zwischen Karl I. von Spanien, dem späteren Kaiser Karl V.,

und Franz von Taxis, sowie dessen Stellvertreter Johann Baptista von Taxis, wurden neue Zeitvorgaben

festgelegt. Startort der Stafetten war nicht mehr Mecheln, sondern nur noch Brüssel, und die Wegezeit

zwischen Brüssel und Innsbruck verringerte sich auf 5 Tage im Sommer und 6 Tage im Winter.

Da in diesem Vertrag auch von Kündigungen und der Einrichtung neuer Postkurse die Rede war, vermutete

die postgeschichtliche Forschung eine modifizierte nördliche Route, die von Brüssel aus über Flamisoul, die

Ardennen, die Westeifel mit Arzfeld und den Hunsrück nach Rheinhausen auf der gegenüberliegenden

Rheinseite von Speyer führte. Für diesen Postkurs gab es jedoch keine stichhaltigen Beweise, ebensowenig

wie für die Fortdauer des im Jahre 1506 belegten Postkurses. 

Zwar wurde im Juli 1520 ein kaiserlicher Posthalter aus Hoffelt bei Asselborn namens Jacob von Hesbeck

genannt, der aber in einem zweifelhaften Kontext steht und nachweisbar seit 1519 Posthalter von Flamisoul war.

Sicher war nur, dass der Postkurs im Jahre 1537 über Flamisoul, die Ardennen und die Westeifel nach Arzfeld

führte.  Die Streckenführung ab Arzfeld blieb bis auf Flonheim und Bobenheim (beide ab 1540 belegt)

unbekannt. Erst ab dem Jahre 1551 häuften sich die Belege für einen Kurs über Nattenheim, Binsfeld, die

Moselfähre bei Lieser und den Hunsrück. 

Mit Giovanni Da L’Herbas Handbuch für Postreisende aus dem Jahre 1563 lag nach dem Stundenpass von

1506 erstmals wieder eine vollständige Auflistung der Postationen zwischen Brüssel und Innsbruck vor.

Diese Beleglücke kann nun mit einem neu aufgefundenen Dokument aus dem Januar 1522 geschlossen werden,

in dem die Poststationen zwischen Brüssel und  Rheinhausen benannt werden.

 

Fundumstände

Im Archiv des Katharinenspitals zu Regensburg ist ein Teil des Nachlasses von Johann Maria Warschitz, einem

reisenden Diplomaten in Diensten des Kurfürsten von der Pfalz aufbewahrt. Die Dokumente, darunter Briefe,

Passbriefe, Chiffrieranweisungen, Tagebücher und Abrechnungen  beginnen im Jahre 1509 und enden am

5. April 1531. Einige dieser auch postgeschichtlich relevanten  Belege wurden bereits im Jahre 1927 von

Adolf Korzendorfer publiziert.

In einer der Archivmappen befanden sich verschiedene undatierte Dokumente, darunter auch ein bislang

übersehener, aus dem Kontext gerissener Reitplan von Brüssel nach Speyer mit Reitzeiten, auf dem viele der

nach 1550 belegten Poststationen genannt werden.

 

Datierung und Kontext

Nachweislich war Warschitz ab Oktober 1521 bis zum Anfang 1522, sowie in den Jahren 1527 und 1531

in Brüssel, womit ein grober Zeitrahmen gegeben war. Bei nochmaliger Durchsicht und Überprüfung im

November 2007 ergab sich eine Übereinstimmung mit dem von Adolf Korzendorfer, in: Archiv für

Postgeschichte in Bayern 3/1927, S.72 publizierten Berechtigungsschein vom 22. Januar 1522. Dieses

Dokument war von einem Schreiber des damaligen Generalpostmeisters Johann Baptista von Taxis verfasst

und von Johann Baptista von Taxis unterzeichnet worden. Es handelte sich um eine Anweisung an alle

Posthalter („Postpotn“) von Brüssel bis Innsbruck, dass sie dem Inhaber dieses Berechtigungsscheins zwei

gute Pferde und einen Begleiter zur Verfügung stellen sollten und für den Ritt von Poststation zu Poststation

nicht mehr als einen Gulden verlangen durften.

Leider hatte Korzendorfer einen entscheidenden Punkt übersehen. So nahm er an, dass Warschitz nach

Innsbruck reiten wollte. Aus der mehrsprachigen Zusammenfassung auf der Rückseite der Anweisung an

die Posthalter geht jedoch ein anderer Sachverhalt hervor. Dort steht eindeutig:

Die Posten von Brüssel nach Speyer „Le postes de brusselles a Spira …”

plus Erlaubnis-, bzw. Anweisungs-Brief für die Post. (frei übersetzt)

Erklärbar ist Korzendorfers Irrtum dadurch, dass es sich hier um ein standardisiertes Schreiben handelte.

Schließlich war Warschitz nicht der einzige Postreisende. Schon dieser zusammenfassende Text sprach

für eine Zusammengehörigkeit der beiden Dokumente.

 

Zur Verifizierung, dass die beiden  Schriftstücke tatsächlich zusammen gehören, waren weitere

Untersuchungen zum Schriftträger nötig. Auffallend war, dass beide Dokumente dasselbe Wasserzeichen

haben, eine Hand mit Ärmel, was eine Herkunft des Papiers aus derselben Manufaktur bestätigte. Der

Archivleiter des Katharinenspitals, Dr. Artur Dirmeier konnte zusätzlich auf beiden Schriftträgern

denselben Siebfehler feststellen, sodass das Papier des Empfehlungsschreibens und des Reitplans

gleichaltrig ist. Mit diesen zusätzlichen Indizien ist der Reitplan mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit

in den Januar 1522 zu datieren und ein Anhang zu dem bereits bekannten Berechtigungsschein zum „Postieren“.

 

Transkription des neu entdeckten Belegs zum Streckenverlauf von 1522

 

A Vauer             4 hora  (Wawre)

A namur             6   .      (Namur)

Embtin               4   .      (Emptinne)

A lignieres          5   .      (Lignier/Lignères)

A flemesen         4   .      (Flamisoul/Flamizoulle bei Bastogne)

A Arsfeldt          8   .      (Arzfeld)

A Natten            3   .      (Nattenheim, nach 1587 durch Bickendorf ersetzt

A lisur                4   .      (Lieser)

A la musele        4   .      (Moselfähre)

A Eckwiller        5   .      (Eckweiler)

A flonnen           5   .      (Flonheim, vor 1563 durch Wöllstein ersetzt)

A puffelken        3   .      (Pfiffligheim bei Worms?)

A Spira              6   .      (Speyer)

 

Folgerungen

Dieser Streckenverlauf räumt mit einigen lieb gewonnenen Vorstellungen auf. Die nördliche Postroute führte

noch nicht über Nordluxemburg mit Asselborn oder Hoffelt, sondern Arzfeld wurde von Flamisoul aus

angeritten, wobei die Reitzeit durch die Ardennen bis zur Westeifel acht Stunden betrug. Höchstwahrscheinlich

lag eine Pferdewechselstation dazwischen,  weil die etwa 63 km lange Strecke unwegsam war und kaum

einem einzigen Pferd zuzumuten war.

Ferner fällt auf, dass die aus dem Postreisebuch des Giovanni Da L’Herba aus dem Jahre 1563 belegten

Zwischenstationen fehlen, sodass die Folgerung erlaubt ist, dass der Abstand zwischen den Poststationen im

Jahre 1522 noch vier bis sechs lange Meilen (etwa 30 - 45 km) betrug. Dies geht auch aus der von Rübsam

publizierten Postinstruktion für den Innsbrucker Postmeister Gabriel von Taxis aus dem Jahre 1523 hervor,

in der die festen Poststationen von Trient bis Stuttgart aufgelistet wurden.

Erst mit der Einführung einer regelmäßig verkehrenden wöchentlichen Ordinaripost, die auch schwere Lasten

beförderte, kamen weitere Zwischenstationen hinzu. Ein Zeichen dafür ist das Binsfelder Postwegekreuz aus

dem Jahre 1551, mit dem gleichzeitig die gesamte nördliche Streckenführung indirekt belegt ist. Im Reisebuch

des Giovanni Da l’Herba aus dem Jahre 1563 wurden dann mit Ausnahme von Schloss Vivier-L’Agneau

bei Courrières und Grainchamps sämtliche Zwischenstationen mitsamt dem Umweg über Nordluxemburg

genannt.

Mit diesem neu aufgefundenen Dokument aus dem Jahre 1522 wird eine Beleglücke geschlossen. Gleichzeitig

ist der neu aufgefundene Reitplan eine zuverlässige Quelle für die frühe Postgeschichte und ein Nachweis für

das hohe Alter der genannten Poststationen.

 

Weiterführende Literatur

Hermann Josef .Becker, in: PgB Saarbrücken 1962/1, 12-17, 1962/2, 4-10

Wolfgang .Behringer, Thurn und Taxis, München 1990

Wolfgang Behringer, Im Zeichen des Merkur, Göttingen 2003

Uli Braun, im: Archiv für deutsche Postgeschichte 2/90, S.6-9, zur Memminger Chronik

Martin Dallmeier, Quellen zur Geschichte des europäischen Postwesens, Bd. I und II, Kallmünz 1977

Philippe Geubel, ''Flamisoulle, sa chapelle, ses pierres tombales, ses seigneurs et maîtres de poste'',

Publication du Musée en Piconrue, Bastogne 1997

Adolf Korzendorfer, in: Archiv für Postgeschichte in Bayern 3/1927, S. 71-73

Joseph Rübsam, in: L’Union Postale 12, Dezember 1891

Joseph Rübsam, Johann Baptista von Taxis, Freiburg im Breisgau 1889, mit dem genauen Wortlaut der

Postverträge von 1505 und 1516 

Fritz Ohmann, Die Anfänge des Postwesens und die Taxis, Leipzig 1909 

Ernst Otto Simon, in: Archiv für deutsche Postgeschichte 1/1990, S.14-41

Einige postgeschichtliche Artikel in der Wikipedia, wie

            Niederländischer Postkurs (Hauptautorin: Gudrun Meyer)

Liste der Poststationen des Niederländischen Postkurses (Hauptautorin: G. Meyer)

„Franz von Taxis“, „Poststation“, „Postreiter“, „Poststation Lieser“ und „Flamisoul“

(Hauptautorin Gudrun Meyer)

„Habsburger Post (1490-1556)“, „Österreichische Postgeschichte bis 1806“

(Hauptautor Hans-Ludwig Meyer)